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Montag, 8. Dezember 2014

Leidenschaft (Teil 3)

Eines Tages hatten wir 2 neue Mitglieder in unserer Gruppe. Die Eine hatte mich schon den ganzen Abend ziemlich verachtend angeschaut. Als ich sie am Ende des Trainings darauf ansprach, meinte sie, sie hätte mich öfters etwas gefragt und ich hätte sie ignoriert und sei einfach an ihr vorbei gelaufen. Da dies aber überhaupt nicht meine Art ist, habe ich mir schon so meine Gedanken gemacht. Auch meine Eltern hatten mich schon darauf angesprochen, dass ich nicht reagierte, wenn man mich von hinten ansprach. Ich hatte dann angefangen, mich selber ein bisschen zu beobachten und musste feststellen, dass sie recht hatten. Ich nahm an, dass der Tinnitus daran schuld sei, den ich ja nun schon ein paar Monate mit mir mit trug. Da mich diese Situation verunsicherte, beschloss ich zum HNO zu gehen. In der Praxis wurde ich dann erstmals ein bisschen belächelt. Eine junge Dame, die viel mit lauter Musik zu tun hat, ist ja schliesslich selber Schuld wenn ihre Ohren pfeift. Das waren natürlich nicht die Worte des Arztes, aber manchmal sagen eben Gesichtsausdrücke mehr als Worte. Nach sehr gründlicher Untersuchung sämtlicher Öffnungen des Kopfes, verliess ich die Praxis mit Gingko-Tabletten. Die sind für altersbedingte Durchblutungsstörungen. Ich war 20 Jahre alt... :-)
Ganz nach dem Motto: hilft'snicht, schadet's nicht, habe ich diese Gingko Riesenkapselkur brav durchgeführt. Jedoch ohne auch nur annähernd einen klitzekleinen Erfolg zu bemerken. Im Gegenteil: Mein Feind, der Tinnitus, war mehr präsent denn je!
Ich hatte je länger je mehr das Gefühl, dass der Tinnitus lauter wurde als es meine Umgebung war. Wenn ich mit jemandem ein Gespräch führte, war es, als würde man nebendran mit einer Maschine den Betonboden lockern. Mein Feind äusserte sich nämlich nicht als normaler Pfeifton; nein, er war viel besser und geschickter. Er passte sich den Umgebungsgeräuschen an. War es still um mich herum, dann hat er sich ausgeruht. War ich im Lärm, hat er lauthals protestiert und mir haarsträubende Tinnituslaute zugemutet. Mein Musikgefühl verabschiedete sich allmählich. Es brachte nichts, die Musik lauter zu stellen, denn mein Feind im Ohr war allzeit bereit dies zu übertönen. Eigentlich war das für mich noch kein Grund aufzugeben. Bis zu dem Tag, als ich deswegen einen Auftritt verpatzte. Auf der Bühne knieten wir alle am Boden, den Kopf vor den Knien ebenfalls am Boden. Die Musik fing an, alle begannen mit der Choreographie... Alle bis auf mich, denn ich hörte den Anfang der Musik nicht. Wahrscheinlich war es die Aufregung, die meinen Feind zum Schreien brachte. Ich hätte am liebsten zurück geschrien. Meine Freunde fanden das nach der Show ziemlich amüsant und ich war total überfordert. Für mich war es das Ende eines Traumes. Das Ende meiner Leidenschaft. Ein so kleiner Körperteil hat mir das gestohlen, was ich am meisten liebte. Ich war nur noch enttäuscht und wütend. Und mit dieser Wut im Bauch wollte ich mir die Antworten auf meine Fragen suchen.

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